Vom klassischen Netzbau bis zu smarten Technologien Vom klassischen Netzbau bis zu smarten Technologien

Ein Interview mit der neuen Abteilung „Infrastruktur Bau und Services“

Seit Anfang dieses Jahres hat der Netzbau Zuwachs: Die neue Abteilung „Infrastruktur Bau und Services“ kümmert sich um alle klassischen Netzbauthemen der Pfalzwerke Netz AG. Darüber hinaus arbeitet das zehnköpfige Team an neuen digitalen Lösungen, von denen Endverbraucher, Industrie, Kommunen und Stadtwerke heute und in Zukunft profitieren. Dr. Stefan Lang leitet die Abteilung „Infrastruktur Bau und Services“. Im Interview berichtet er, wohin sich die Netzinfrastruktur entwickeln wird und warum Digitalisierung für seine Abteilung Priorität hat.

Dr. Stefan Lang
Dr. Stefan Lang

Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 80 Prozent des deutschen Stromverbrauchs abdecken. Spürt man die Auswirkungen der EEG-Reform bereits in Ihrer Abteilung?
Dr. Stefan Lang: Ja, die spüren wir: Jeder, der eine PV-Anlage auf sein privates oder gewerbliches Dach bauen oder eine Freiflächenanlage errichten möchte, muss sich diese von seinem Netzbetreiber genehmigen lassen. Unsere Abteilung kümmert sich um endkundennahe Produkte und Dienstleistungen. Dazu gehören auch die Genehmigungen der PV-Anlagen. Schauen wir zurück, hatten wir 2019 rund 1.000 Anträge für PV-Anlagen. Von 2019 auf 2020 hatte sich das Pensum bereits auf 2.000 Anträge verdoppelt, und dann noch einmal von 2020 auf 2021. Für 2022 gehen wir von einer Verdreifachung der Anträge im Vergleich zum Vorjahr aus.

 

Tatsächlich plant ein Viertel aller Hauseigentümer in Deutschland, in den kommenden sechs bis zwölf Monaten eine PV-Anlage zu installieren. Wie erklären Sie sich diese Beschleunigung?
Dr. Stefan Lang: Unserer Einschätzung nach lösen Sorge vor Inflation, günstige Kredite sowie die attraktive Förderlandschaft die starke Nachfrage aus. Zum anderen aber auch die seit Ende letzten Jahres stark gestiegenen Energiepreise für Strom, Gas und Öl. Verstärkt wird dies noch einmal durch den Krieg in der Ukraine. Darüber hinaus gibt es derzeit ein allgemeines Streben nach Autarkie. Das lässt sich unter anderem daran festmachen, dass die Kolleginnen und Kollegen bei der Pfalzsolar 80 Prozent der Anlagen zusammen mit Speichern verkaufen: Mit Hilfe der Speicher möchten Kundinnen und Kunden den Eigenbedarf und Eigenverbrauch absichern. Im Industrieumfeld in Rheinland-Pfalz führt zudem die ab 2023 geltende PV-Pflicht zu einer höheren Nachfrage.

 

Je mehr Menschen und Unternehmen PV-Anlagen installieren, desto dezentraler gestaltet sich unsere Energieversorgung. Was bedeutet das für die Netzinfrastruktur?
Dr. Stefan Lang: Wir können keine „Kupferplatte“ bauen: Die Anzahl an Kabel sowie die Größe der Querschnitte ist in Ortsnetzen endlich. Das heißt, wir werden in absehbarer Zukunft mit Aktorik in unsere Netzsteuerung eingreifen müssen. Dafür brauchen wir mehr Konnektivität und Intelligente Messsysteme. Denn grundsätzlich fehlen Messdaten. Das bedeutet, dass wir das Thema sukzessive aufbauen müssen: Im ersten Schritt bringen wir die passende Sensorik in die Netze, um diese zu überwachen. Im zweiten Schritt definieren wir dann, wie wir in die Netzsteuerung einwirken.
 

Was müssen die gesammelten Daten leisten?
Dr. Stefan Lang: Die Daten müssen zuverlässig und integer sein. Darüber hinaus gewinnen Messintervalle an Bedeutung: Also, in welchen Intervallen kann ich meine Daten überhaupt erfassen? Nutzen wir heute Daten für die Netzplanung und den Netzausbau, dann reichen uns sicherlich Zehn- oder 15-Minuten-Werte. Wenn ich aber irgendwann steuernd auf diese Netze einwirken möchte, dann sind wir mit 15-Minuten-Werten schlecht unterwegs. Dafür brauchen wir tendenziell Werte im Sekundentakt. Das ist eine andere Dimension und stellt an uns und an die Technik neue Herausforderungen. Zudem ist es bislang so, dass unsere Netzleitstelle in Mutterstadt alle Daten aus den Umspannwerken sowie den Hoch- und Mittelspannungsnetzen erhält. Im Ortsnetzbereich wird das so künftig nicht mehr funktionieren. Die IT-Infrastruktur kann es bei einer sekundenscharfen Datenerfassung in vielen, vielen Ortsnetzen mit hunderttausenden Netzpunkten nicht leisten, alle Daten an einen zentralen Punkt zu kommunizieren. Deswegen diskutieren wir bereits heute darüber, dezentrale Ortsnetz-Controller einzusetzen. Ein solcher Controller würde in der Ortsnetzstation sitzen und einen definierten Bereich des Ortsnetzes überwachen. Die Netzleitstelle kommuniziert dann lediglich noch mit dem Controller und dieser übernimmt die Kommunikation mit der Aktorik. Das ist die Vision, an der wir heute arbeiten.

 

Gehört diese Vision bereits zum Leistungsprofil Ihrer neuen Abteilung? 
Dr. Stefan Lang: Nein, dafür ist sie ehrlicherweise noch ein Stück zu visionär. Doch wir arbeiten bereits an einer digitalen Ortsnetzstation, die schon heute mit Messtechnik ausgestattet ist und mit der sich Netze monitoren lassen. Sie bildet einen wesentlichen Baustein auf dem Weg hin zu unserer Vision.


Digitalisierung zieht sich durch Ihre Abteilung wie ein roter Faden.
Dr. Stefan Lang: Unsere Abteilung kümmert sich auch um die klassischen Netzbauaufgaben: vom Sonderhausanschluss über Ortsnetzstationen bis hin zu Umspannwerken für Verteilnetzbetreiber und Industriekunden. Dabei setzen wir unsere Projekte stets auf dem neuesten Stand der Technik um und verknüpfen sie, wo sinnvoll, mit digitalen Dienstleistungen. Da gehören in der Tat neue Themen wie IoT-Anwendungen dazu, die in der Industrie, bei Kommunen und Stadtwerken großen Anklang finden.


Wie nutzen Stadtwerke im Pfalzwerke-Netz-Gebiet IoT-Anwendungen derzeit?
Dr. Stefan Lang: Stadtwerke nutzen unsere IoTista-Lösungen für das Monitoring von Ortsnetzstationen, von Wasser- und Wärmenetzen. Um Strom-, Wärme- und Wassernetze zu betreiben, ist es immens wichtig, über zuverlässige Daten zu verfügen. Im Wasserbereich haben Stadtwerke teilweise mit relativ hohen Leckageverlusten zu tun, weil an undichten Stellen Wasser wegfließt. Im Wärmebereich können Stadtwerke mit unseren IoT-Anwendungen zum einen ihren Netzbetrieb optimieren. Zum anderen ist Ende 2021 eine Novelle der Heizkostenverordnung in Kraft getreten, wodurch Wärmenetzbetreiber die Endkund*innen künftig monatsscharf informieren müssen, wie hoch ihr Wärmeverbrauch war. Und das funktioniert nur, wenn digitalisierte Zähler diese Daten mittels Fernübertragung melden. Anschließend können sie diese Endkund*innen bereitstellen – beispielsweise über eine Online-Plattform oder mobile App. Und im Strombereich haben wir all die heutigen und künftigen Herausforderungen, über die wir vorhin gesprochen haben: Der hohe Anteil an erneuerbaren Energien, Redispatch 2.0 … – das sind alles Themen, die es mittlerweile erforderlich machen, dass man seinen Netzzustand kennt und über Messdaten aus dem Netz verfügt.


Lassen sich dezentrale Energieversorgung und die dafür erforderliche Digitalisierung im angestrebten Zeitraum bis 2030 realisieren?
Dr. Stefan Lang: Das ist jetzt ein bisschen Glaskugelguckerei (lacht). Bis 2030 sind es noch acht Jahre. Gefühlt sind acht Jahre für solch große Herausforderungen nie lang. Doch wenn man acht Jahre zurückblickt, dann wundert man sich doch immer, was alles passieren kann in diesem Zeitraum. Ich glaube, dass wir in acht Jahren einen ganz, ganz großen Schritt weiter sind. Auch weil es schlichtweg erforderlich sein wird. Der Druck wird so groß sein, dass dadurch Verpflichtungen erwachsen. Daher glaube ich, dass wir das in acht Jahren schaffen. Doch ich bin auch der Überzeugung, dass wir 2030 kein finales System haben werden, mit dem sich die darauffolgenden 50 Jahre arbeiten lässt. Dafür ist Digitalisierung viel zu schnelllebig, zu volatil: Es ändern sich täglich Anforderungen, und auch die Anforderungen der Kundinnen und Kunden. Das heißt, 2030 werden wir sicherlich ein System haben. Doch es wird ein System sein, das dem permanenten digitalen Wandel standhalten muss. Davon bin ich überzeugt.